vor 1.215 Jahren

Hüstens wichtigster Gedenktag

 

Der 13. Januar ist für alle Hüstener und darüber hinaus für die Einwohner der früher zur Urpfarrei Hüsten zählenden Ortsteile von Vosswinkel bis Arnsberg ein denkwürdiger Tag und von herausragender geschichtlicher Bedeutung.

Bedeutsam zum einen, weil aus der frühmittelalterlichen Zeit wenig Schriftliches überliefert ist; zum anderen, weil die unter diesem Datum verfasste Urkunde von einer geschichtlichen Begebenheit berichtet, die uns auch heute, nach 1.215 Jahren gedanklich fesseln kann.

Das Dokument in lateinischer Sprache, das im 12. Jahrhundert offenbar in der Abtei Werden abgeschrieben wurde, berichtet von einer noblen, hochherzigen Schenkung des Hüstener Bürgers Thankgrim an den Abt Liudger, den späteren ersten Bischof von Münster, der während der Regentschaft Karls des Großen in weiten Teilen Norddeutschlands das Christentum verbreitete. Es gab nur wenige Schriftkundige, vorwiegend Kleriker, die die lateinische Sprache beherrschten. In dieser Epoche gab es noch keine deutsche Schriftsprache, sondern nur Dialekte, Mundarten. Erst unter dem Einfluss Karls des Großen verbreitete sich das Althochdeutsch.

Worin bestand diese großzügige Spende? Der Vertrag vom 13. Januar 802 berichtet, dass Thankgrim und seine beiden Söhne Hardgrim und Arthugrim

„… für unser und des ermordeten Bosoco Seelenheil … nach gerechtem Urteilsspruch … das ganze Erbgut … das Brunico und dessen Söhne … gesetzlich besaßen … in die Hände des Abtes Liudger … sei es Wald, sei es Land oder den damit verknüpften Gerechtsamen …“  (Nutzungsrechten) übergeben werden sollten.

Diese überaus freigiebige Spende war mit großer Wahrscheinlichkeit Grundlage und Keimzelle der Kirchengründung in Hüsten. So entstand die Urpfarrei Hüsten, die für lange Jahre vom Beginn des 9. Jahrhunderts bis teilweise ins 17. Jahrhundert Mutterpfarrei  für zahlreiche Ortschaften im Ruhr- und Röhrtal blieb.

Bezeugt wurde die Schenkungsurkunde nach öffentlicher Verhandlung durch die Bürger,  –  man muss annehmen  –  Freien Bauern Osbert, Sefrid, Meinrad, Sigdad, Hildirad, Folcger, Odger, Hardgrim, und Alfwin.

 

Die „Villa Hustanne“  war um 802 wohl schon ein Gerichtsplatz aus früherer Zeit und ein Dorf mit beachtlicher Einwohnerzahl.

Das Wirken Liudgers und seiner Missionare hatte Früchte getragen!

 

Die Urkunde selbst ist in nüchternem Ton, man möchte meinen in Juristensprache, verfasst.  Einen Lapsus enthält sie aber doch:  Wörtlich heißt es: „Dieser Akt ist öffentlich verhandelt im 34. Jahr der Regierung des Königs Karl am 13.Januar …“  usw.

Karl wurde 768 König des Frankenreichs, doch 34 Jahre später, im Jahre 802, war Karl schon Kaiser seit dem 25.12.800, dem Tag der Krönung durch Papst Leo III. (Der Papst musste 799 aus Rom fliehen und fand Unterschlupf in der karolingischen Kaiserpfalz Paderborn.)

Doch das ist ein anderes Thema.

 

Kehren wir zur Schenkungsurkunde zurück, in der Thankgrim vom eigenen, dem seiner beider Söhne Hardgrim und Arthugrim und des ermordeten Sohnes Bosoco „ S e e l e n h e i l“ schreiben lässt.

Das ist der Kernpunkt der Schenkung!

 

Der Todestag und die Umstände der Ermordung Bosocos sind nicht überliefert, doch können wir annehmen, dass eine geraume Weile zwischen dem unzweifelhaften Mordfall und dem Gerichtsbeschluss mit anschließender Schenkung gelegen hat.

 

Thankgrim und seine Söhne haben sicher Rat gesucht bei „Fachleuten“ des Freigerichts, den Schöffen in den „weltlichen“ Fragen, aber auch Kontakt gehabt mit Liudger und seinen Bekehrern in ihrer religiösen Suche.

 

Der damalige Gerichtsbeschluss sprach dem Geschädigten wegen des sehr schweren Delikts ein sogenanntes Wergeld zu, das in diesem Fall aus dem gesamten  Besitz des Mörders Brunico und seiner Sippe bestand: Haus und Hof, Wald, Wiesen und Ackerland. Die Familie des Mörders war damit mittellos.

 

Was sollte die Familie Thankgrim mit diesem Besitz beginnen? Mit einem Schlag war man Besitzer eines zweiten Hofes! Ob man Neid und Ärger in der Folge befürchtete? Wir können nur vermuten, dass Thankgrim mögliche Missgunst vermeiden wollte, dass ihm der „Friede im Dorf“ wichtig war.

 

Friede des „Seelenheils“ des ermordeten Sohnes Bosoco, der Trauernden, Thankgrim und seiner Söhne Hardgrim und Arthugrim, versprach die Übertragung der Liegenschaften des Mörders an eine übergeordnete, transzendente Institution, die der Seele Trost und Frieden versprach.

 

Ohne Thankgrims Weitsicht und Großherzigkeit hätte es keine Stammpfarrei Hüsten gegeben. Die Vergangenheit Hüstens wäre viele hundert Jahre im Dunkel des frühen Mittelalters verblieben. An diese geschichtsprägende Gestalt erinnert in Hüsten nur ein kleines Sträßchen.

Thankgrim hätte mehr Anerkennung verdient.

Schade.

 

Hüsten, 09.01.2017

 

Text: Manfred Schellberg